T/Räume - Teenager

Wendekinder, Kinderwände

In seinen sozialdokumentarischen Farbaufnahmen (aus den Jahren 1995-2000) zeigt Bernd Cramer (*1970 in Leipzig) die der Öffentlichkeit wohl verborgenen Wohn(t)räume Heranwachsender. Mit ethnografischem Spürsinn ergründet er ein erstes selbstbewusstes Wahrnehmen junger Menschen, die in ihrem kargen Kokon soeben ihrer Kindheit entschlüpfen. Die Versatzstücke in diesen Puppenstuben, die keine mehr sind, reichen von Muscheln, Deodosen und Zigaretten über Ansichtskarten, Familienfotos und Kerzen bis hin zu Pets, Fußballflaggen und geklauten Verkehrssignalen. Nur wenig Spuren von gehäkeltem Hausfleiß bei Mädchen, von abenteuerlichen Hobbies bei Jungen sind ersichtlich. Die Steckenpferde sind kaum selber generiert, sondern zumeist der multimedial verbreiteten Kulturindustrie abgekupfert. Nicht vorgelebte Ideale blicken von den Wänden, sondern geliftete Idole. Die Lebensentwürfe junger Menschen orientieren sich an den weltweit seit Jahren, ja gar seit Jahrzehnten gleichen Centerfold–Ikonen wie Che Guevara, Jim Morrison, Cindy Crawford, Brad Pitt, Charly Chaplin...

Jenseits dieser plakativen Symbole von Fame & Show, Hope & Glory sind die Räume technisch auf gutem Stand: Computer– und Musikanlagen, CD–Stapel, Fernsehgeräte und Radiowecker. Weil Satellitenschüsseln die Welt in die kleine Heimat bringen, täglich neue Bilder reproduzieren, dürfen die Wände auch mal positive Leere ausstrahlen. Grundsätzlich scheint es den Jungen wohl zu sein, kein Darben, keine Armut, aber auch kein unnötiger Überfluss und Hochleistungsdruck. Emanzipation von der faktischen Fremdbestimmung ist (noch) kein Thema. Dafür sorgt auch der Stundenplan der Schule. Nur vereinzelt wird wachsende Eigendynamik, okkulter Trotz gegen das Establishment sichtbar. Und manchmal erscheinen die Jungenbuden und Mädchenkabäuschen ob der abweisenden, traurigen, perspektivenlosen Gesichter in blut– und actionleeren Räumen wie Brutstätten suizidaler Lethargie.

In diese Adoleszenzzimmer, in denen die Kindersachen noch nicht gänzlich verbannt sind, aber die Erwachsenenwelt noch längst nicht einverleibt ist, führt uns der Fotograf. Das vorhandene Licht reicht knapp, um ein paar Ecken auszuleuchten, um Alltagsstimmung zu erzeugen. Die Menschen sind ob der langen Belichtungszeit erstarrt, ruhen an Ort, keine Spielereien, keine Mätzchen, keine Kommunikation. Auch wenn die Personen verhalten, sprachlos sein mögen, so erzählen doch ihre Räume…“ 

 

Vorwort für das Buch „T/Räume“ - Fritz Franz Vogel - Wädenswil/Schweiz